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Intolerance

Intolerance ist eine neue Arbeit des niederländischen Künstlers Willem de Rooij. Sie wurde speziell für die Neue Nationalgalerie entwickelt und besteht aus einer großen, temporären Installation und einer dreibändigen Publikation. Intolerance konfrontiert eine Gruppe holländischer Vogeldarstellungen des 17. Jahrhunderts, gemalt von Melchior d’Hondecoeter, mit Federobjekten des 18. und 19. Jahrhunderts aus Hawai‘i. Offen für vielfältige Interpretationen, kann Intolerance als eine dreidimensionale Collage, als Reflexion institutioneller Arbeitsweisen und Ausstellungspraxis, aber auch als eine visuelle Untersuchung der Dreiecksbeziehung zwischen frühem globalem Handel, interkulturellen Konflikten und gegenseitiger Attraktion begriffen werden.
Beide Objektgruppen wurden ursprünglich hergestellt, um Macht zu repräsentieren und die jeweils Mächtigen mit beeindruckender Pracht auszustatten. Durch ihren hohen materiellen und (im Fall der Federobjekte) religiösen Wert, bekräftigten diese Objekte die damaligen Machtstrukturen.


Federkopf,
H 67 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum
© bpk / Ethnological Museum,
SMB / Claudia Obrocki.

Melchior d’Hondecoeter,
Pelikan und andere Wasservögel in einer Parklandschaft
2. Hälfte 17. Jh., 132 x 161,5 cm,
Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie, Berlin
© bpk / Gemäldegalerie,
SMB / Jörg P. Anders



Willem de Rooijs Arbeitsweise ist durch die Auswahl und Kombination von Bildern in unterschiedlichen Medien wie Skulptur, Film und Text bestimmt. In seinem Werk analysiert er die Konventionen von Präsentation und Repräsentation, und lotet die Spannung zwischen gesellschaftlich-politisch gebundener und autonomer Bildproduktion aus. Bereits seine frühen Filminstallationen besaßen eine skulpturale Qualität, und seine jüngsten Ausstellungen wurden zu eigenständigen Kunstwerken, in die oft gefundenes Material oder Kunstwerke im Sinne der Appropriation Art einbezogen wurden.

Den Ausgangspunkt für das Projekt Intolerance bilden zwei Werke aus den Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin: eine mit Federn überzogene Darstellung des Kriegsgottes Kuka‘ilimoku aus dem Ethnologischen Museum in Dahlem und das Gemälde Pelikan und andere Wasservögel in einem Park von Melchior d’Hondecoeter aus der Gemäldegalerie. Indem Willem de Rooij beide Werke in der Neuen Nationalgalerie zusammenführt, überschreitet er bewusst kunstgeschichtliche Klassifikationen und disziplinäre Grenzen. In einer Zeit, in der das kulturelle Klima zunehmend von privaten Interessen bestimmt wird, verweist Intolerance auf die Relevanz und den Nutzen der öffentlichen Sammlungen.

Melchior d’Hondecoeter

Der niederländische Maler Melchior d’Hondecoeter malte ausschließlich Bilder von Vögeln. Diese ‚Gruppenportraits’ wurden für ihre realistische Darstellung gelobt und waren bei der wirtschaftlichen und politischen Elite der damaligen Zeit sehr gefragt. Die Gemälde dienten als Statussymbole, führten diese aber auch vor: Exotische Vögel, welche auf den niederländischen Handelsschiffen aus den neu entdeckten Gebieten in Asien, Afrika und Südamerika importiert worden waren. In bewegten Kompositionen bringt Melchior d’Hondecoeter Vögel zusammen, die häufig bedroht oder miteinander kämpfend dargestellt sind. Sie scheinen menschliche Charakterzüge zu zeigen und lassen vermuten, dass die Bilder auch als Kommentare auf die niederländische Gesellschaft des 17. Jahrhunderts gelesen werden können. Diese wurde von rapidem Bevölkerungswachstum und zunehmender wirtschaftlicher Komplexität bestimmt, die auf einem zunehmend global werdenden Markt und damit verbundenen kolonialen Ansprüchen basierte.

Etwa 200 Gemälde können Melchior d’Hondecoeters Werkstatt zugeordnet werden. Variierende Malstile lassen auf eine Vielzahl von Gehilfen schließen, und einige Motive finden sich auf mehreren Bildern in unveränderter Form wieder. Melchior d’Hondecoeters Œuvre erscheint daher als eine Ansammlung dekorativer Collagen, die scheinbar in serieller Handarbeit auf der Grundlage von erfolgreichen Bildversatzstücken hergestellt wurden.
Obwohl Melchior d’Hondecoeter zu seiner Zeit und auch später ausgesprochen erfolgreich war und sich seine Gemälde weltweit in wichtigen Sammlungen finden (Rijksmuseum, Louvre, Eremitage, Metropolitan Museum etc.), hat es bislang weder eine Einzelausstellung noch einen umfassenden Katalog zu diesem Künstler gegeben.

Hawaiianische Federobjekte (18. und 19. Jahrhundert)

Im vorchristlichen Hawai‘i (der Zeit vor James Cooks Besuch der Inseln 1779) wurde der Kriegsgott Kuka’ilimoku genannt. Dreidimensionale Darstellungen seines Kopfes wurden bei Prozessionen mitgeführt, ebenso Helme, Kragen und Mäntel. Alle diese Objekte sind mit Federn bedeckt, die politische und religiöse Oberhäupter schmückten und schützten. Die Grundlage der Objekte bildet eine korbartige Struktur, die mit einem Netzgewebe versehen ist, in welches Tausende von roten und gelben Federn gesteckt werden. Für jedes Objekt mussten Hunderte von ‘i‘iwi-Vögeln gefangen, getötet und gerupft werden. Für die Furcht einflößenden Gesichtszüge des gefiederten Gottes werden Muscheln, Hundezähne und Menschenhaar verwendet. Eigene Stärke zu vermitteln und äußere Gefahren abzuwenden ist der Sinn dieser Köpfe, Helme, Kragen und Mäntel.

Die Konstruktion dieser komplexen Skulpturen erforderte verschiedene Fertigkeiten, auf die sich ganze Dörfer in einer vorindustriellen Produktionsweise arbeitsteilig spezialisierten. Heute sind nur noch 19 Federköpfe erhalten. Die meisten davon stammen von James Cooks letzter Pazifikreise und wurden 1779 nach Europa gebracht. Etwa 80 Helme und 180 Mäntel oder Kragen befinden sich in europäischen und außereuropäischen Sammlungen. Während Cook primär Material für wissenschaftliche Forschung sammelte, brachte er auch Trophäen und Souvenirs mit, um die Kosten seiner Reisen zu decken. Durch den Transport aus dem Pazifik nach Westeuropa änderten sich Funktion und Bedeutung drastisch: Aus rituellen Objekten, die mit Krieg, Status und Hierarchie zu tun hatten, wurden Beispiele des ‚Exotischen’.

Biographie Willem de Rooij

Willem de Rooij (*1969) studierte 1990-95 an der Gerrit Rietveld Akademie in Amsterdam und 1997-98 an der dortigen Rijksakademie. Seit 2002 ist er Tutor bei De Ateliers in Amsterdam, seit 2006 Professor für Freie Bildende Kunst an der Städelschule in Frankfurt am Main. Der Künstler lebt und arbeitet in Berlin.
Gemeinsame Ausstellungstätigkeit mit Jeroen de Rijke bis 2006, danach Ausstellungen in K 21, Düsseldorf (2007) und im Museo d’Arte Moderna di Bologna (2008). Robert Fulton Fellowship an der Harvard University 2004 und Vertretung der Niederlande bei der Biennale in Venedig 2005. Künstlerische Werke befinden sich unter anderem in den Sammlungen der Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin, im MUMOK in Wien, sowie im MoMA, New York.